es ist Sommer in Europa, ein heißer Sommer – allerdings nur klimatisch. Wären da nicht das italienische Drama – ob letztlich Komödie oder Tragödie, ist noch offen – und der jüngste englische Thronfolger, könnte man sogar so etwas wie kollektiven Sommerschlaf konstatieren, und das trotz Wahlkampfes in Deutschland.
Absoluter Hotspot Europas im wahrsten Sinne des Wortes dürfte allerdings Brüssel sein. Sie erinnern sich, im Herbst vergangenen Jahres kam von dort die Ansage, dass die EU beabsichtigt, den Anteil der industriellen Wertschöpfung am europäischen Bruttoinlandsprodukt von derzeit rund 16 % auf 20 % im Jahr 2020 zu erhöhen. Das entsprechende Papier vom 10. Oktober 2012 erweckte allein schon aufgrund des Titels „Industrial revolution brings industry back to Europe“ die Hoffnung, dass die EU tatsächlich den Ernst der Lage erkannt hat und sich erstmals wirklich zu einer fundierten und offensiven Industriepolitik bekennt. Abgesehen vom Hinweis auf sechs ins Auge gefasste Schwerpunktbereiche findet sich darin allerdings anstelle handfester, konkreter Maßnahmen eine Vielzahl von Absichtserklärungen und „shoulds“. Zum alles entscheidenden Punkt, nämlich der Wiederherstellung der globalen Konkurrenzfähigkeit auf der Kostenseite als grundlegender Erfolgsvoraussetzung des gesamten Vorhabens, gibt es folgende – ernüchternde – Feststellung: „Da sich die Kostenstruktur in der Industrie ändert, wird die Kostenwettbewerbsfähigkeit weiterhin der Schlüsselfaktor für Industriestandorte sein, was von der Politik nicht ignoriert werden kann.“ Das bedeutet letztlich nichts anderes, als dass sich die Kommission nicht für zuständig erachtet, aktiv an der Schaffung von Rahmenbedingungen mitzuwirken, die der Industrie am Standort Europa eine erfolgreiche Positionierung im weltweit immer härter werdenden Wettbewerb ermöglichen.
So sieht auch das faktische Verhalten Brüssels seit dem vergangenen Oktober aus: Anstelle einer Abkehr von teilweise technisch völlig unrealistischen Klimazielen kommt es zu einer Verschärfung durch eine künstliche Einschränkung der Freizertifikate für die energieintensive Industrie („backloading“), ebenfalls verschärft werden die Emissionsbestimmungen im Straßenverkehr. Gleichzeitig gibt es keine erkennbaren Initiativen auf europäischer Ebene, das für viele Industrieunternehmen drängendste Problem, die zunehmend prohibitiv werdenden Energiekosten, in den Griff zu bekommen. Das ist die Realität europäischer Industriepolitik, alles andere ist geduldiges Papier oder – weniger vornehm ausgedrückt – offensichtlich heiße Luft in einem heißen Sommer. Es wird daher auch niemanden wirklich überraschen, wenn das für 2020 angestrebte 20 %-GDP-Ziel der Industrie das gleiche Schicksal ereilt wie anno dazumal das „Lissabon-Ziel“. Nur zur Erinnerung: Gemäß der am Frühjahrsgipfel 2000 des Rates in Lissabon festgelegten Strategie wollte Europa 2010 der „wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ sein – viele Menschen erinnern sich nicht einmal mehr daran, dass es jemals ein solches Ziel gegeben hat.
Was bleibt als abschließende Feststellung? Europa braucht wieder Aufbruchsstimmung statt Verwaltung, Leadership anstelle von Provinzialismus und wirtschaftlichen Realismus statt esoterischer Träumereien. Bis dahin haben wir gar keine andere Wahl, als die Zukunft des voestalpine-Konzerns in immer stärkerem Ausmaß außerhalb Europas zu suchen – nicht zuletzt, um damit auch die Wettbewerbsposition unserer europäischen Unternehmensstandorte trotz aller politischen Unwägbarkeiten und Hürden weiter zu verbessern.
Linz, 7. August 2013
Der Vorstand
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Franz |